Neurodiversität! Spinnen jetzt alle?

Es zeigt eine moderne Büroumgebung mit einer vielfältigen Gruppe von Menschen, die gemeinsam arbeiten und verschiedene Geräte verwenden. Die Szene betont Inklusion und Innovation in einem positiven und kollaborativen Arbeitsumfeld.

Seit einiger Zeit geistert ein neuartig anmutender Begriff durch die Welt von Diversity, Equity & Inclusion (DE&I): Neurodiversität.

Für viele Menschen ist es noch immer ein Tabu, über psychische Probleme zu sprechen oder sich Hilfe zu suchen, wenn sie vor schwierigen und emotional herausfordernden Situationen stehen.

Dabei wissen wir heute ziemlich gut, dass

  • neben biologischen Faktoren (Gene, Hormone, Erkrankungen, etc.),
  • sowohl psychologische Faktoren (Persönlichkeitsmerkmale, erlerntes Verhalten, Kindheitserfahrungen, etc.)
  • als auch soziale Faktoren (Lebensereignisse, Unterstützung, kulturelle & gesellschaftliche Einflüsse, etc.)

gleichbedeutenden Einfluss darauf haben, wie gut wir durchs Leben kommen, oder ob wir dabei sogar krank werden.

Unser bisheriges Verständnis von „Du hast ein Problem: mach eine Therapie und lass Dich heilen!“ ist sehr stark darauf ausgelegt, nur die individuelle Verantwortung hervorzuheben.

Doch das birgt sogar andere Gefahren, z.B. wenn sich Führungskräfte oder Kolleg:innen falsch verhalten. Egal ob aus falscher Hilfsbereitschaft oder wegen fehlender Kompetenzen.

Daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dieses Thema genauer und differenzierter zu betrachten, um keine vorschnellen Rückschlüsse zu ziehen, wie mit Neurodiversität angemessen und verantwortungsbewusst umgegangen werden kann.

  • Was ist Neurodiversität und was sind psychische Störungen?
  • Was hat das mit dem Arbeitsplatz zu tun?
  • Was haben wir davon, wenn wir anders damit umgehen?

Was ist Neurodiversität und was ist eine psychische Störung?

Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert wurde versucht, Menschen mit Zucht und Folter die „Narretei“ auszutreiben und sie „zur Vernunft zu bringen“. Es entstanden Irrenhäuser, in denen sich das Bild von Kranken und Patienten entwickelte, die einen Anspruch auf medizinische Unterstützung brauchen. Die Psychologie wurde im 19. Jahrhundert eine offizielle Disziplin.

Beginn des 20. Jahrhunderts traten neue Protagonisten auf den Plan, die neben der Ursachenforschung vor allem an der Therapie dieser Krankheiten interessiert waren. Mit Freud, Adler und Jung sind wohl die bekanntesten aus der Zeit, doch viele folgten und erarbeiteten im Laufe der letzten 125 Jahre das, was wir heute unter Psychotherapie verstehen.

Neurodiversität ist ein Konzept, das die Vielfalt menschlicher Gehirne und geistigen Funktionsweisen anerkennt und wertschätzt. Es geht davon aus, dass neurologische Unterschiede, wie Autismus, ADHS, Dyslexie und andere, natürliche und wertvolle Variationen der menschlichen Erfahrung sind.

Die australische Soziologin Judy Singer prägte diesen Begriff in den 1990er Jahren, um eine positive Sichtweise auf neurologische Unterschiede zu fördern und die Stigmatisierung von Menschen mit solchen Unterschieden zu reduzieren.

Unterschiede & Zusammenhänge

Neurodiversität

Neurodiversität bezieht sich auf eine breite Palette neurologischer Zustände, die die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen denken, lernen und mit ihrer Umwelt interagieren. Typische Beispiele sind:

  • Autismus-Spektrum-Störungen (ASD)
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
  • Dyslexie (Lese-Rechtschreib-Schwäche)
  • Dyskalkulie (Rechenschwäche)
  • Dyspraxie (Koordinationsstörung)
  • Tourette-Syndrom

Diese Zustände werden als natürliche Varianten der menschlichen Neurologie betrachtet und nicht als pathologische Zustände, die behandelt oder geheilt werden müssen.

Menschen mit diesen neurologischen Unterschieden können einzigartige Perspektiven und Fähigkeiten einbringen, die wertvoll sind.

Psychische Störungen

Psychische Störungen hingegen werden in der Regel als krankhafte Zustände betrachtet, die signifikanten Leidensdruck und Beeinträchtigungen im Alltag verursachen und oft medizinische oder therapeutische Interventionen erfordern. Beispiele hierfür sind:

  • Schizophrenie
  • Bipolare Störung
  • Schwere Depression
  • Angststörungen
  • Zwangsstörungen (OCD)
  • Borderline-Persönlichkeitsstörung

Während es bei beiden Gruppen von Zuständen um Unterschiede in der Gehirnfunktion geht, liegt der Hauptunterschied darin, wie diese Zustände das tägliche Leben und das Wohlbefinden der Betroffenen beeinflussen und ob sie medizinische Interventionen erfordern.

Menschen, die Ihre Krankheit erfolgreich behandelt haben wissen, was sie brauchen, was ihnen schadet und wie man mit herausfordernden Situationen im Leben anders umgehen kann.

Warum ist es wichtig, dass sich Unternehmen mit Neurodiversität auseinandersetzen?

Wir wissen, dass es gute Gründe, warum Menschen psychisch krank werden können. Wer schonmal jahrelang gegen seine eigenen Bedürfnisse gearbeitet hat, kennt vielleicht

Die Anerkennung und Unterstützung von Neurodiversität in Unternehmen ist aus mehreren Gründen von entscheidender Bedeutung:

  1. Inklusion und Gerechtigkeit: Menschen mit neurologischen Unterschieden verdienen gleiche Chancen und Zugang zu Ressourcen. Unternehmen, die Neurodiversität unterstützen, fördern eine Kultur der Inklusion und Gerechtigkeit.

  2. Talente und Innovation: Neurodiverse Mitarbeiter können einzigartige Fähigkeiten und Perspektiven mitbringen, die Innovation und Kreativität fördern. Verschiedene Denkweisen können zu neuen Lösungsansätzen und verbesserten Entscheidungsprozessen führen.

  3. Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung: Ein inklusives Arbeitsumfeld, das die Bedürfnisse aller Mitarbeiter berücksichtigt, führt zu höherer Zufriedenheit und Loyalität. Dies kann die Mitarbeiterbindung verbessern und Fluktuation reduzieren.

  4. Reputation und Markenwert: Unternehmen, die sich aktiv für Inklusion und Diversität einsetzen, genießen oft einen besseren Ruf und können als Arbeitgeber attraktiver sein. Dies kann auch positive Auswirkungen auf Kunden und Geschäftspartner haben.

Was haben wir davon, wenn wir anders damit umgehen?

Bei einer gesunden Abwägung ist es immer notwendig, die Vor- und Nachteile zu betrachten und abzuwägen. Hier ein paar, die hilfreich sein könnten:

Vorteile für Unternehmen

  • Erweiterung des Talentpools: Durch die Anerkennung von Neurodiversität können Unternehmen auf eine breitere Palette von Talenten zugreifen.
  • Steigerung der Innovationsfähigkeit: Verschiedene Perspektiven und Denkweisen können zu innovativeren Lösungen führen.
  • Verbesserung des Arbeitsklimas: Ein inklusives Umfeld kann die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter steigern.
  • Positive Öffentlichkeitsarbeit: Unternehmen, die Diversität fördern, können ihre Reputation und ihr Image verbessern.

Nachteile für Unternehmen

  • Anpassungsaufwand: Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsumfelds erfordert möglicherweise Anpassungen in der Arbeitsplatzgestaltung und den Arbeitsabläufen.
  • Schulungsbedarf: Mitarbeiter und Führungskräfte müssen möglicherweise geschult werden, um ein besseres Verständnis und eine höhere Sensibilität für Neurodiversität zu entwickeln.
  • Potenzielle Missverständnisse: Ohne angemessene Aufklärung können Missverständnisse und Vorurteile gegenüber neurodiversen Mitarbeitern bestehen bleiben.

Vorteile für Betroffene

  • Gleichberechtigung und Wertschätzung: Neurodiverse Menschen fühlen sich wertgeschätzt und gleichberechtigt.
  • Berufliche Chancen: Sie haben Zugang zu Arbeitsmöglichkeiten, die ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen.
  • Persönliche Entwicklung: Ein unterstützendes Umfeld fördert das persönliche und berufliche Wachstum.

Nachteile für Betroffene

  • Stigmatisierung: Trotz Bemühungen um Inklusion kann es immer noch zu Stigmatisierung und Diskriminierung kommen.
  • Herausforderungen bei Anpassung: Die Anpassung an ein Arbeitsumfeld, das nicht vollständig inklusiv ist, kann zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen.
  • Job-Wechsel: Wenn der Arbeitsplatz dauerhaft dysfunktionale Rahmenbedingungen für die eigene Gesundheit bietet, kann ein Wechsel sinnvoll sein.

Zusammenfassung

Neurodiversität ist ein wichtiger Bestandteil der menschlichen Vielfalt, der in Unternehmen anerkannt und unterstützt werden sollte. Durch die Schaffung eines inklusiven Arbeitsumfelds können Unternehmen nicht nur von den einzigartigen Fähigkeiten und Perspektiven neurodiverser Mitarbeiter profitieren, sondern auch ihre soziale Verantwortung wahrnehmen und ein positives Arbeitsklima fördern.

Es erfordert jedoch Engagement und Anpassungen, um die Herausforderungen zu meistern und die Vorteile voll auszuschöpfen.

Ich unterstütze Sie gerne

Was man als Führungskraft oder Arbeitgeber:in strukturell und prozessual tun kann, wo die Grenzen sind, wann es professionelle Unterstützung braucht und wo die Eigenverantwortung von Betroffenen beginnt, ist ein schmaler Grat und ohne Fachkenntnis mehr als schwierig und evtl. sogar kontraproduktiv.

Lassen Sie uns gerne sprechen!

Quellen & weiterführende Links

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